Jenseits der Grenzen – Kapitel VI

KAPITEL VI
EICHELBREI – Der Nutzen der Abgeschiedenheit.

Eine Zeit lang, seit 1964, begann ich allein zu zelten.
Ich entdeckte dieses als die Myasthenie zum Problem wurde und die Dinge durcheinander gerieten, wenn ich versuchte, meine Kondition in den Griff zu bekommen. Ein 4-oder 5-Tages-Trip würde die Wogen glätten.

Ich denke, die meisten Menschen mit MG stimmen mir zu, dass der soziale Druck einen direkten und üblicherweise einen negativen Effekt hat, der in der Muskelschwäche endet.
Das Zelten allein befreite mich von diesem Druck und wenn ich nicht selbst mir diesen Druck aufbürdete, dann hatte ich fünf Tage der totalen Freiheit ohne MG.
Der zweite Teil, nicht den eigenen Druck zu erzeugen, gelang nicht sofort und es brauchte einige Übung darin, aber es kann erreicht werden. Ich machte keine Pläne. Keine Vorgaben oder Zeitpläne existierten, über die ich mir Sorgen machen müsste, oder an die ich mich halten müsste.

Alles war vereinfacht.

Der Supermarkt diente mit einer Menge an frischem Gemüse, Käse, Sommer-Würstchen, eingelegten Früchten und Kaffee. Ein Extra-Stopp bei Mama Linas für sechs lange Baguettes mit dieser köstlichen knusprigen Kruste und ich konnte mich auf meinen Weg machen. Immer vergaß ich irgendetwas, aber Gemüse in Lehm eingepackt und in Glut zubereitet, war nur ein wenig schlechter als Gemüse in Folie gebacken.

Innerhalb 24 Stunden lösten sich Verwirrung, Angst, Spinnennetze oder was auch immer auf, wie der Morgennebel. Was mit Geist und Körper in diesen vier oder fünf Tagen geschah, war so verblüffend, dass ich mir wünschte, dass jeder Mensch auf unserem Erdball dies am eigenen Körper erfahren würde. Ich sollte erwähnen, dies sind fünf Tage ohne jeglichen Kontakt zu irgendeinem anderen Menschen. Wenn ich jemanden zufällig traf, winkte ich ihm einfach zu, sprach ihn aber nicht an.
Der Heilungsprozess des Geistes und der Emotionen unter diesen Bedingungen ist ein schneller und er stellt sich todsicher ein.

Ich tat viele Dinge bei diesen Tourneen. Manchmal zeichnete oder malte ich. Zu anderen Zeiten erkundete und erforschte ich meine Umgebung. Ich unternahm Dinge, die die Fantasie wiederbelebte, die ich in den Morgenstunden brauchte.
Einmal, während einer Wanderung, entdeckte ich eine kleine Quelle an einem Platz, an den über eine Million Jahre kein Mensch seinen Fuß hingesetzt hatte. Ich gab der Quelle den Namen: „Chetusu-Quelle“ und sie gehörte mir. (Der Name „Chetusu“ ist eine andere Geschichte). Ich konnte zur Chetusu-Quelle zurückkehren, wann immer ich wollte, in meinen Gedanken, beim Morgen-Kaffee.

Ein anderes Mal verbrachte ich meine Zeit damit, Eicheln zu sammeln, sie zu öffnen und sie in der Sonne auszubreiten. Wenn diese trocken waren, benutze ich einen Stein in der Nähe, der eine natürliche Vertiefung hatte, als Mahlstein und machte Mehl daraus. Nachdem ich das Mehl von größeren Brocken getrennt hatte, baute ich mir einen Sand-Filter am Fluss unterhalb meines Lagers. Acht Stunden so eingeweicht, hoffte ich, dass die Bitterkeit meines Eichelmehls dahin war und ich ein Abendessen hatte. Ich hatte am Tage absichtlich Zurückhaltung beim Essen geübt um gebührend das Experiment des Überlebens zu schätzen, das , was Gott überall auf dem Waldboden verstreut hatte. Es war schon acht Uhr am Abend als ich soweit war, mein Tagewerk zuzubereiten. Ich war hungrig. Ich benutzte eine meiner Metallpfannen, aber ich platzierte sie nicht im Feuer. Genau wie die Ureinwohner es mit ihrem Lehmpötten taten, erhitzte ich kleine Steine, ließ sie in das Mehl und Wasser fallen und rührte sie mit einem Stock um. Diese Mixtur dickte zu einem cremefarbenen Brei ein. Ich tauchte zwei Finger in die Pfanne und nahm sie in meinen Mund, ich aß genau wie die Ureinwohner es getan haben. Der Brei hatte wenig oder gar keinen Geschmack und nur eine kleine Spur Bitterkeit. Das Wässern hatte nicht 100 Prozent der Gerbstoffe entfernt, aber er war genießbar, wenn man meinen beachtlichen Hunger nach 24 Stunden Fasten bedachte. Ich widerstand der Versuchung, eine Dose aufzumachen und dieses Fest mit einem Stück Sommer-Wurst und etwas Brot zu krönen. Ich wollte, dass dieses Mahl aus Eichelbrei für sich allein stand und sich für immer in meiner Erinnerung einbrannte. Das tat es.
Wie sehr sich doch diese Tage von den Tagen in unserer Zivilisation in der Stadt mit unseren Autos und unseren Jobs unterschieden! Ich war erschöpft aber emotional sehr erfrischt. Alles in meiner Zeit des Campens und Lageraufbauens wurde reduziert auf das Einfache, auf einfach zu verstehende Problemlösungen. Nichts existierte außer mir, meinem Lager und Gott.

Wie ihr in diesem Buch sehen könnt, besitze ich einen visuellen Geist. Alles, worüber ich nachdenke oder was ich lerne, muss ich in irgendeiner Art visualisieren.
Diese Nacht sah ich unsere Leben in mathematischen Gleichungen
Vor meinem geistigen Auge sah des modernen Mannes Leben in etwa so aus:

VI GLEICHUNG

Auf der anderen Seite, in diesem Moment, war mein Leben mehr als nur 2+2=4. Keine Ängste, keine Unsicherheiten, alles war so einfach zu verstehen. 2+2=4.

Es kam mir in den Sinn, dass dieses Experiment, unglücklicherweise, beschränkt sein könnte auf diejenigen, die wussten, wie man zu campen und keine Angst hatten, dies auch zu tun.
Diese Hürde kann auf verschiedenen Wegen überwunden werden.
Ein Ehemann und eine Ehefrau oder ein Vater und Tochter, Bruder und Schwester etc. könnten je ein Lager aufbauen in Rufweite und dann vereinbaren, fünf Tage keinen Kontakt zueinander zu unterhalten, außer es ist absolut notwendig. Man muss sich verabreden, eine Notiz zu hinterlassen, wenn man vorzeitig das Lager abbricht etc.
Ich weiß nicht, ob es dasselbe sein würde, aber gewiss war es besser als nichts.

Der Gebrauch von kleinen Hütten, um zu reflektieren, zu meditieren und den Geist wieder herzustellen, gab es, wie ich wusste, viele hunderte von Jahren. Die Menschen lebten in dieser Hütte ohne jeglichen Kontakt nach draußen. Das Essen wurde auf der Eingangsstufe der Hütte hinterlassen.
Ich glaube nicht, dass die Methoden wichtig sind, um diese Stufe der Abgeschiedenheit zu erreichen. Deren Wert war erprobt und für gut befunden, obgleich ich über ihren Nutzen erst im Zusammenhang mit der MG, mehr durch Zufall, stolperte, es gab sie schon lange bevor die Menschen den Stress kannten.
Jedes Mal wenn ich zum Campen ging, kehrte ich mit neuen Möglichkeiten, meine Fantasie zu erweitern, zurück. Jetzt waren sie nicht mehr nur Tagträume, sondern sie waren solide in der Realität und in meinen Campingerfahrungen verankert. Sie hatte nun den gleichen Effekt wie die Campingausflüge selbst, nur auf einer niedrigeren Scala. Meine Fantasie wurde noch ausgeprägter, als sie in 1964 gewesen ist.

Ein unerwarteter Besucher

Es war in der Mitte des Winters, soweit ich mich erinnern kann, ich war der Einzige auf dem Campingplatz im Black Canyon in Südkalifornien. Mit Malen beschäftigt, fing ich eine flüchtige Bewegung auf, die in meine Richtung kam. Ich setzte meine Arbeit fort. Als es näher kam, gewahrte ich den Buckel eines alten Mannes, Flanell-Shirt, ausgebeulte Hosen, Strickmütze und sehr abgetragene Stiefel. Kein Gepäck, so dass er nicht von weither gekommen sein kann, aber ich fragte mich, wo er sich in den letzten drei Tagen versteckt hatte. Er zögerte nicht, direkt in mein Lager zu spazieren und sagte: „Macht es Dir etwas aus, mich auf deiner Bank auszuruhen?“
Ich antwortete nicht, was meine Angewohnheit war, wenn ich allein zeltete, aber ich lächelte und zeigte mit dem Malpinsel auf den Picknicktisch. Er lächelte zurück und setzte sich nieder.
In den nächsten zwanzig Minuten wurde nicht ein Wort gesprochen.
Ich malte und er beobachtete mich und dann, sich erhebend, wanderte er zu meiner Leinwand, beugte sich herunter, um einen besseren Blick zu haben, richtete seinen Spazierstock auf sie, drehte sich um und lächelte. Er erhob seine Hand leicht, wie zu einer Geste des Abschieds, spazierte aus meinem Lager und die Straße hinunter.
Die Nacht, als ich vor meinem Lagerfeuer saß, ließ ich den Tag vorbeiziehen und erinnerte mich an den kleinen alten Mann. Ich fragte mich, wo er war. Dieser alte Mann war mich sofort unheimlich gewesen. Jede Nacht, im Fernsehen, hatten einige alte Männer etwas verbrochen. Einige pöbelten Menschen an. Betrunkene, herumlungernde, obdachlose Menschen, es schien, die Liste hatte kein Ende.

Als ich die Flammen meines Lagerfeuers beobachtete, kam ein Gefühl des Friedens über mich. Ich war ein Dummkopf gewesen, diesen alten Mann betreffend. Hatte er mich in irgendeiner Weise bedroht? Hat er irgendetwas getan, dass mich all diese Gedanken von ihm denken ließen?
Er hatte mich um einen Gefallen gebeten, und ich habe ihm diesen mit einem Lächeln für eine Weile gewährt. Er hatte mir die Freundlichkeit mit einer Geste und mit seinem eigenen Lächeln erwidert.
Ich hatte ihn mit Liebe beschenkt, und er gab mir Liebe zurück.

Kann irgendetwas in unserem Leben einfacher und schöner sein?
Schenkte ich diesem Geschehen mehr Beachtung, als es verdient hatte?
Diese Nacht verstand ich das erste Mal, dass die Vorstellung vom Leben mit Abstand bedeutender ist als die Realität des Lebens.

In dieser Nacht schlief ich sehr gut.

Clete und der alte Mann am Feuer

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