Jenseits der Grenzen – Kapitel II

KAPITEL II –

Du bist mutterseelenallein

Meine Erleichterung einen Namen dafür zu haben, was mit mir passierte, war unbeschreiblich. Es gab einen Grund für meine Schwäche und meine neuerdings auftretenden Ausfälle und der hat einen Namen.

Myasthenia Gravis? Wie konnte ich mir diese Krankheit einfangen? Was exakt ist diese Krankheit? Niemand schien mehr darüber zu wissen.

Mein Doktor sagte mir, dass er ein Medikament hätte, welches die MG kontrollieren würde und ich wäre in der Lage ein perfektes normales Leben zu führen. Diese guten Neuigkeiten hielten für zwei Tage der Einnahme der Medikamente an, aber die Nebenwirkungen waren so belastend, dass ich mich fragte, was mir mehr zusetzte, die Erkrankung oder die Medikamentenkur.

Die folgenden Monate waren ausgefüllt mit Ärzten, Hospitälern, Tests, Medikamenten, welche nicht halfen, noch mehr Tests, noch mehr Doktoren, mit Medikamenten die halfen und dann doch nicht, und dann, schlussendlich, kam der Urteilsspruch, dass ich “stabilisiert” sei.

Wenigstens konnte ich ein bisschen besser funktionieren.

Worte wie “Unheilbar”, “Selten”, “Krise” wurden sehr wichtig, besonders für mich und es war bald klar, dass die Menge des wirklichen Wissens über diese Krankheit winzig war. So hatte ich wieder etwas mehr, worüber ich mir Sorgen machte.

Die Erleichterung über die Identifizierung der Erkrankung wurde langsam ausgehöhlt als ich zu realisieren begann, immer mehr, dass ich auf mich allein gestellt war. Hier würde es keine Wunderheilung geben.

Kein Arzt konnte mein Problem lösen.

Dieses Gefühl ging in ein Gefühl der Isolation über, welches mich über Jahre begleitete. Ich versuchte es, doch ich konnte es nie abschütteln. Ich fühlte mich so sehr alleingelassen.

Sicher, das ist wahr, ich teilte mein Alleinsein mit einer liebenden und unterstützenden Ehefrau und fünf großartigen Kindern, aber auf diesem einem Gebiet fühlte ich die Notwendigkeit mich mitteilen zu müssen, aber ich konnte es nicht.

Ich versuchte es von Zeit zu Zeit, wurde aber immer missverstanden, bis ich fühlte, es sei besser es bei mir zu belassen.

Der Fehler lag nicht bei den anderen. Es war meiner.

Was genau versuchte ich zu sagen? Warum schmerzte mein Inneres so sehr?

Wann würde mich das Geschehen auf der James Connally Air Force Base, Nähe Waco Texas in Ruhe lassen, aus meinem Kopf gehen? Diese Tränen!

Immer diese Tränen und warum war es unmöglich, auszudrücken, was einige von ihnen bedeuteten?

Hier gab es keinen Mangel an Fragen wohl aber an Antworten.

Von der Air Force aus medizinischen Gründen ausgemustert, in Rente geschickt, kehrten wir in unsere Heimatstadt, San Diego, zurück.

Man bescheinigte mir einen Grad von 100% Behinderung und überwies mich zu einem Dr.Brown, welcher in den Diensten des psychiatrischen Departments stand. Im Normalfall würde die MG unter das Thema Neurologie fallen, aber San Diego hatte keinen Neurologen. Weil ich aber noch jemanden benötigte, der meine ärztlichen Verordnungen ausstellte, war Dr. Brown mein Mann.

Verglichen mit dem Air Forces Krankenhaus, in dem ich an jedem Platz herumgestöbert habe, den ein Mensch in der Lage ist, auszukundschaften, und all die anderen Plätze, an denen ich hängengeblieben bin, war das Krankenhaus hier ein sehr freundlicher Ort.

Niemand wollte von mir Tests machen, weil sie sich eingestanden, dass sie sehr wenig über die MG wussten und offensichtlich nicht ein bisschen interessiert daran waren.

Das war gut für mich.

Dr. Brown schaute nach meiner Medikation und schrieb die notwendigen Überweisungen.

Er würde mich fragen, ob ich etwas ausprobieren möchte und würde es mir geben, wenn ich es wollte.

Er wusste genug über die Medizin, die mich von einer Verschlechterung fern hielt, und gleichzeitig gab er mir das Gefühl, dass ich die Kontrolle nicht ganz verlor.

Dies schien von großer Wichtigkeit zu sein.

Wir unterhielten uns jedes Mal, wenn wir uns trafen, und obwohl ich es wollte, ich schaffte es nicht, mit ihm über James Connally oder den Schmerz und die Tränen zu sprechen.

Baue eine Mauer –Verspachtle die Spalten—und lebe dein Leben weiter!

Während einer unserer Gespräche erwähnte Dr. Brown, dass er über einen Psychiater gelesen habe, dem mit neun oder zehn MG-Patienten einige Erfolge gelangen.

Unglücklicherweise verstarb dieser Arzt ohne irgendeine Niederschrift über diese Behandlung.

Ein „Gute-Neuigkeit – Schlechte-Neuigkeit“ –Scherz!

Ein weiteres interessantes Teil an Information, aber es warf mehr Fragen auf.

Wie konnte ein Psychiater jemandem mit MG helfen?

Ist das nicht eine physische Behinderung? Die Nerven können keine Signale an die Muskeln übertragen. Das ist physisch. Gut, dann zurück zur ersten Frage.

Wie kann ein Psychiater jemandem mit MG helfen?

Während eines anderen Gespräches erwähnte Dr. Brown einen Artikel, in dem davon geschrieben wurde, dass es so schien, als hätten alle MG-Patienten eine sehr ähnliche Persönlichkeit.

Wenn dies stimmte, dann schien es möglich zu sein, dass ein Psychiater eine Rolle spielen konnte in diesem Puzzle.

Hatte deine eigene Persönlichkeit etwas damit zu tun warum man MG bekam?

Mit diesen neuen Fragen tastete ich mich langsam vorwärts. Zu dieser Zeit hatte ich keine Hoffnung auf irgendeinen Fortschritt für ein reales Verständnis der Erkrankung.

Jenseits der Grenzen – Kapitel I

KAPITEL I
Ich denke, Sie könnten
MYASTHENIA GRAVIS haben

Die Dusche war warm und gut, stellte einen scharfen Kontrast zum Rest der Erlebnisse dieses Tages dar. Während das warme Wasser meinen Körper besänftigte, wiederholte mein Geist Szenen des heutigen Testfluges mit einer F29.

Nach ungefähr fünfzehn Minuten Flug, gerade noch vom Take off in die Höhe von fünftausend Fuß kletternd, fing unser linkes Triebwerk Feuer.
Rauch rollte über den Flügel und als der sich verflüchtigte, konnte ich ganz deutlich Flammen sehen. Das waren ernste Schwierigkeiten, aber noch kein Grund zur Panik, weil ich Vertrauen in den Ingenieur des heutigen Fluges hatte.

Ich habe immer gut funktioniert in Notfallsituationen, aber heute, während ich auf das brennende Triebwerk schaute, auf einen Flügel voll mit explosivem Treibstoff, fühlte ich eine starke und schreckliche Beklommenheit.

Das Schicksal unseres Flugzeuges hing von einer entschlossenen Beurteilung durch den Flug-Ingenieur ab. Er würde exakt entscheiden müssen, in welchem Moment die Feuerlöscher ausgelöst werden, welche in die Triebwerke verbaut waren. Dazu hat man nur einen „Schuss“ und Timing war dabei alles. Wenn der verbraucht war, würde es Zeit für Plan „B“. Springen!
Die Hand des Flug-Ingenieurs erhob sich in die Höhe, während er auf das brennende Triebwerk starrte.
Von meinem Sitz aus, hinter seiner Position, konnte ich sehen wie der Co-Pilot sich nach dem Triebwerk umschaute, während er auf das Signal zur Aktivierung der Feuerlöscher wartete.
Ich schaute aus dem Fenster auf das in Flammen stehende Triebwerk, dann auf die Hand des Ingenieurs, die bereit war in der Luft, und dann zum Co-Piloten, dessen Hand bereit war am Schalter.
Zehn ganze Leben vergingen, als endlich die Hand des Ingenieurs nach unten schnellte.
Eine große Qualmwolke stob aus dem Triebwerk und dann – nichts!

Die nächsten dreißig Sekunden waren quälende während wir darauf warteten, ob das Feuer komplett gelöscht wurde. Wenn es wieder aufflackern sollte, hätten wir keine andere Chance als das Flugzeug aufzugeben.
Ich schaute hinter mich zur Fluchttür im Leitwerk. Viele Male habe ich schon an dieser Tür gestanden, bereit zu gehen, aber ich bin nie gesprungen. Mein Körper war angespannt als ich meine Chancen durchdachte, die Luke sicher zu verlassen für den Fall, dass das Feuer wieder aufflammt.

Die Spannung wurde immer unerträglicher, jeder von uns erwartete neue Anzeichen von Rauch oder Flammen. Als er realisierte, dass das Feuer wirklich aus war, wendete der Pilot das Flugzeug und wir flogen unsere Basis an.

Später fand ich heraus, dass ich Fünfzig extra Dollar in diesen 10 Minuten der Hölle verdient hatte.

Das Wasser der Dusche lief über mich und ich hoffte, das es mich, irgendwie, heilen würde von dem Scherbenhaufen dieser Gefühle des heutigen Traumas.

Wurden diese Notfälle immer heftiger oder verlor ich meine Nerven? Der bloße Gedanke an einen erneuten Testflug erfüllte mich mit Furcht. Fliegen war immer Spaß, wenn ich mich recht erinnere, bis wann? Kurze Zeit später fiel ich durch eine Überprüfung und verlor meinen technischen Dienstgrad. Die Depression die dem folgte, schien alles zu verändern. Ich hätte das Fliegen aufgeben sollen zu diesem Zeitpunkt, aber wir brauchten in dieser Zeit einfach das Geld.

In die Dusche mischten sich jetzt Tränen, die mein Gesicht nur so herunterströmten.

Was passierte mit mir? Später liefen mir dann die Tränen ohne jeglichen ersichtlichen Grund. Nicht eine einzelne Träne, nein eine Flut von Tränen. Immer, wenn ich allein war. Gott sei Dank dafür, aber warum? Ich war nie eine Heulsuse und nun fühlte ich mich unbehaglich und ein wenig schämte ich mich. Die Summe all dieser Dinge brauchte ich nicht!

Ich bewegte den eingeseiften Waschlappen auf meinem Brustkorb. Nichts! Ich konnte keinen Druck aufbauen. Ich konnte mich auf die Hinterbeine stellen, konnte aber nicht den geringsten Druck auf meinen Brustkorb ausüben. Was geschah mit mir?

Am nächsten Tag ließ ich mich krankschreiben. Der Flug-Operateur gab mir einige Tranquilizer und verbot mir das Fliegen für ein paar Wochen. Aber er nahm mir nicht meinen Flug-Status, so dass ich weiterhin meine kostbaren 55 Dollar erhielt.

Die Tranquilizer taten wortlos ihr Werk, und in den nächsten Wochen erlebte ich Doppelbilder, schwache Beine, energielose Arme, herabhängende Augenlider, Schwierigkeiten bei der Atmung, beim Kauen, Schwierigkeiten beim Zähneputzen und beim Haare kämmen. Aber der Arzt wusste nicht was falsch lief.

Die Heidenangst vorm Fliegen hatte sich zwar verflüchtigt aber sie hatte sich in andere, viel schrecklichere Befürchtungen manifestiert. Ich war nicht mehr Herr meines Körpers. Er würde mir nicht mehr zur Verfügung stehen, wenn ich ihn brauchte!

Schließlich, desillusioniert und frustriert ob der Unfähigkeit der Ärzte eine Diagnose des Problems zu stellen, trieb ich mich an, so gut es ging um die Symptome zu intensivieren. Und als sie alle zusammen so richtig auf dem Höhepunkt waren, kämpfte ich mich in das Büro des Flugarztes, vorbei an den anderen wartenden Männern und sagte: „Hier, schaut mich an!“ Meine Sprache war lallend und ich konnte kaum meine Augen offen halten. Meine Atmung war flach und meine Beine aus Gummi.

Ein Blitz der Erkenntnis überkam das Gesicht des Arztes und er verschwand für ein paar Minuten, um mit einem medizinischen Buch zurückzukehren.

„Hier ich hab’s,“ sagte er, „Ich glaube Sie haben Myasthenia Gravis“,

Clete „Cletus“ Gress

In Memoriam Cletus Gress

Clete deutsch Kondolenz

Ich habe sein Buch im Internet gefunden und bin sehr beeindruckt von Clete, von seiner Sicht auf das Leben und wie er es ausgefüllt hat, trotz Myasthenia Gravis, oder vielleicht gerade deshalb?

Ich habe versucht, mit seinen Töchtern Kontakt aufzunehmen, es ist mir nicht gelungen. Ich wollte ihr Einverständnis, die Geschichte ihres Vaters übersetzen zu dürfen.

Das Buch ist als freies ebook im Netz zu finden unter:

http://www.free-ebooks.net/ebook/Beyond-the-Limits-of-Myasthenia-Gravis

und ich werde in diesem Blog Kapitel für Kapitel auf deutsch veröffentlichen.

Habt Geduld, ich bin mit der Myasthenia Gravis eine sehr viel langsamere Arbeiterin geworden als ich es einmal war. Über eure Kommentare freue ich mich sehr. Viel Spaß beim Entdecken dieser wirklich außergewöhnlichen Geschichte!