Jenseits der Grenzen – Kapitel I

KAPITEL I
Ich denke, Sie könnten
MYASTHENIA GRAVIS haben

Die Dusche war warm und gut, stellte einen scharfen Kontrast zum Rest der Erlebnisse dieses Tages dar. Während das warme Wasser meinen Körper besänftigte, wiederholte mein Geist Szenen des heutigen Testfluges mit einer F29.

Nach ungefähr fünfzehn Minuten Flug, gerade noch vom Take off in die Höhe von fünftausend Fuß kletternd, fing unser linkes Triebwerk Feuer.
Rauch rollte über den Flügel und als der sich verflüchtigte, konnte ich ganz deutlich Flammen sehen. Das waren ernste Schwierigkeiten, aber noch kein Grund zur Panik, weil ich Vertrauen in den Ingenieur des heutigen Fluges hatte.

Ich habe immer gut funktioniert in Notfallsituationen, aber heute, während ich auf das brennende Triebwerk schaute, auf einen Flügel voll mit explosivem Treibstoff, fühlte ich eine starke und schreckliche Beklommenheit.

Das Schicksal unseres Flugzeuges hing von einer entschlossenen Beurteilung durch den Flug-Ingenieur ab. Er würde exakt entscheiden müssen, in welchem Moment die Feuerlöscher ausgelöst werden, welche in die Triebwerke verbaut waren. Dazu hat man nur einen „Schuss“ und Timing war dabei alles. Wenn der verbraucht war, würde es Zeit für Plan „B“. Springen!
Die Hand des Flug-Ingenieurs erhob sich in die Höhe, während er auf das brennende Triebwerk starrte.
Von meinem Sitz aus, hinter seiner Position, konnte ich sehen wie der Co-Pilot sich nach dem Triebwerk umschaute, während er auf das Signal zur Aktivierung der Feuerlöscher wartete.
Ich schaute aus dem Fenster auf das in Flammen stehende Triebwerk, dann auf die Hand des Ingenieurs, die bereit war in der Luft, und dann zum Co-Piloten, dessen Hand bereit war am Schalter.
Zehn ganze Leben vergingen, als endlich die Hand des Ingenieurs nach unten schnellte.
Eine große Qualmwolke stob aus dem Triebwerk und dann – nichts!

Die nächsten dreißig Sekunden waren quälende während wir darauf warteten, ob das Feuer komplett gelöscht wurde. Wenn es wieder aufflackern sollte, hätten wir keine andere Chance als das Flugzeug aufzugeben.
Ich schaute hinter mich zur Fluchttür im Leitwerk. Viele Male habe ich schon an dieser Tür gestanden, bereit zu gehen, aber ich bin nie gesprungen. Mein Körper war angespannt als ich meine Chancen durchdachte, die Luke sicher zu verlassen für den Fall, dass das Feuer wieder aufflammt.

Die Spannung wurde immer unerträglicher, jeder von uns erwartete neue Anzeichen von Rauch oder Flammen. Als er realisierte, dass das Feuer wirklich aus war, wendete der Pilot das Flugzeug und wir flogen unsere Basis an.

Später fand ich heraus, dass ich Fünfzig extra Dollar in diesen 10 Minuten der Hölle verdient hatte.

Das Wasser der Dusche lief über mich und ich hoffte, das es mich, irgendwie, heilen würde von dem Scherbenhaufen dieser Gefühle des heutigen Traumas.

Wurden diese Notfälle immer heftiger oder verlor ich meine Nerven? Der bloße Gedanke an einen erneuten Testflug erfüllte mich mit Furcht. Fliegen war immer Spaß, wenn ich mich recht erinnere, bis wann? Kurze Zeit später fiel ich durch eine Überprüfung und verlor meinen technischen Dienstgrad. Die Depression die dem folgte, schien alles zu verändern. Ich hätte das Fliegen aufgeben sollen zu diesem Zeitpunkt, aber wir brauchten in dieser Zeit einfach das Geld.

In die Dusche mischten sich jetzt Tränen, die mein Gesicht nur so herunterströmten.

Was passierte mit mir? Später liefen mir dann die Tränen ohne jeglichen ersichtlichen Grund. Nicht eine einzelne Träne, nein eine Flut von Tränen. Immer, wenn ich allein war. Gott sei Dank dafür, aber warum? Ich war nie eine Heulsuse und nun fühlte ich mich unbehaglich und ein wenig schämte ich mich. Die Summe all dieser Dinge brauchte ich nicht!

Ich bewegte den eingeseiften Waschlappen auf meinem Brustkorb. Nichts! Ich konnte keinen Druck aufbauen. Ich konnte mich auf die Hinterbeine stellen, konnte aber nicht den geringsten Druck auf meinen Brustkorb ausüben. Was geschah mit mir?

Am nächsten Tag ließ ich mich krankschreiben. Der Flug-Operateur gab mir einige Tranquilizer und verbot mir das Fliegen für ein paar Wochen. Aber er nahm mir nicht meinen Flug-Status, so dass ich weiterhin meine kostbaren 55 Dollar erhielt.

Die Tranquilizer taten wortlos ihr Werk, und in den nächsten Wochen erlebte ich Doppelbilder, schwache Beine, energielose Arme, herabhängende Augenlider, Schwierigkeiten bei der Atmung, beim Kauen, Schwierigkeiten beim Zähneputzen und beim Haare kämmen. Aber der Arzt wusste nicht was falsch lief.

Die Heidenangst vorm Fliegen hatte sich zwar verflüchtigt aber sie hatte sich in andere, viel schrecklichere Befürchtungen manifestiert. Ich war nicht mehr Herr meines Körpers. Er würde mir nicht mehr zur Verfügung stehen, wenn ich ihn brauchte!

Schließlich, desillusioniert und frustriert ob der Unfähigkeit der Ärzte eine Diagnose des Problems zu stellen, trieb ich mich an, so gut es ging um die Symptome zu intensivieren. Und als sie alle zusammen so richtig auf dem Höhepunkt waren, kämpfte ich mich in das Büro des Flugarztes, vorbei an den anderen wartenden Männern und sagte: „Hier, schaut mich an!“ Meine Sprache war lallend und ich konnte kaum meine Augen offen halten. Meine Atmung war flach und meine Beine aus Gummi.

Ein Blitz der Erkenntnis überkam das Gesicht des Arztes und er verschwand für ein paar Minuten, um mit einem medizinischen Buch zurückzukehren.

„Hier ich hab’s,“ sagte er, „Ich glaube Sie haben Myasthenia Gravis“,